Begriffserklärung

Der Begriff „Tonleiter“ ist deswegen sehr zutreffend gewählt, weil man sich, wie bei einer echten Leiter, auch auf einer Tonleiter Sprosse für Sprosse (hier: Tonstufe für Tonstufe) nach oben und wieder herab bewegen kann. Die Tonleiter ist eine nach Tonhöhe geordnete Abfolge von Tönen, die zumeist sowohl oben als auch unten begrenzt ist. Hat man das Ende der Tonleiter erreicht, wiederholt sie sich in einer höheren bzw. nach unten in einer tieferen Lage. Der Umfang beträgt meistens, insbesondere in den im Folgenden vorgestellten Fällen, eine Oktave. Die in einer Tonleiter enthaltenen Töne bezeichnet man als „leitereigen“.
Vorstellen möchte neben der pentatonischen, der chromatischen und der Ganztonleiter vor allem die diatonische Tonleiter, die für unsere Dur- und Moll-System wichtig ist.

Pentatonische Tonleiter

Die aus fünf verschiedenen Tönen bestehende pentatonische Tonleiter enthält keine Halbtonschritte und enthält vielmehr drei Ganztöne und zwei kleine Terzen. Die verwendeten Töne lassen sich finden, indem man von einem Grundton ausgehend vier Quinten übereinander schichtet. Von C ausgehend heißen die Töne dann: c-g-d-a-e. Ordnet man sie nach Tonhöhe und bringt sie in die richtige Reihenfolge, ergibt sich folgende Tonfolge: c-d-e-g-a. Nach oben fortgesetzt folgt wieder ein c. Zwei Ganztonschritten (GT) folgt eine kleine Terz (kl.T), dann ein weiterer Ganztonschritt und abschließend wieder eine kleine Terz (siehe Abbildung 01).

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Spielt auf dem Klavier ausschließlich die schwarzen Tasten, so verwendet man nur Töne einer mit Fis beginnenden pentatonischen Tonleiter (Abbildung 02), was immer ein wenig nach chinesischer Musik klingt. Hier ein Klangbeispiel:

Man kann wahllos drauf los spielen, es hört sich (fast) immer gut an 😉 Probieren Sie es aus!

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Die Ganztonleiter

Wie der Name schon sagt, besteht diese Tonleiter ausschließlich aus Ganztönen, sechs an der Zahl, bevor man wieder zum Ausgangston zurückkehrt, weshalb sie auch hexatonische (sechstönige) Tonleiter genannt wird. Im Impressionismus (vor allem bei Debussy) und im Jazz findet diese Tonleiter häufig Verwendung (Abbildung 03).

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Chromatische Tonleiter

Der Begriff „chroma“ kommt aus dem Altgriechischen und bedeutet Farbe, wonach durch die Erhöhung oder Erniedrigung der diatonischen Halbtöne eine „Umfärbung“ dieser bewirkt wird. (übrigens: Das Element Chrom, das in seiner reinen Form silbrig ist, erscheint in Verbindungen mit anderen Elementen jedoch von unterschiedlichster Färbung.) Konkret ist die chromatische Tonleiter in unserem heutigen Tonsystem eine Aufeinanderfolge aller Halbtonschritte. Da diese bei der gleichschwebend temperierten Stimmung alle gleich groß sind, ist es unerheblich, ob man einen Ton erhöht oder den darüber liegenden erniedrigt (Enharmonische Verwechslung oder Enharmonische Umdeutung), es ist allerdings üblich bei aufsteigender Skala die Töne mit einem #-Vorzeichen zu erhöhen und bei absteigender Bewegung das b-Vorzeichen zur Erniedrigung zu verwenden (Abbildung 04).

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Diatonik

Die diatonische Tonleiter, bei der auf Chromatik verzichtet wird, entwickelte sich, anfänglich als Grundlage für die mittelalterlichen Kirchentonarten, zu unserem heutiges Dur-Moll-System. Zu erkennen ist eine solche Tonleiter daran, dass alle Stammtöne oder deren Ableitung (Erhöhung oder Erniedrigung) verwendet werden und diese jeweils nur einmal auftreten. Bei C-Dur sind es c-d-e-f-g-a-h-(c), bei Fis-Dur beispielsweise fis-gis-ais-hcis-dis-eis-(fis), bei Des-Dur des-es-fges-as-bc-(des). Zudem sind keine übermäßigen oder verminderten Intervalle vorhanden.

Dur-Tonleiter

Die Durtonleiter ist gekennzeichnet durch eine bestimmte Abfolge von Ganz- und Halbtonschritten. Auf der Klaviatur am einfachsten zu sehen bei C-Dur, wo nur die weißen Tasten Verwendung finden. Wo die Halbtonschritte liegen, erkennt man daran, dass sich zwischen diesen keine schwarze Taste befindet. Die Halbtonschritte liegen hier zwischen der III. und IV. Stufe und zwischen der VII. und VIII. Stufe (Abbildung 05).

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Wählt man nun einen anderen Anfangston, so verschieben sich auch die Positionen der Halbtonschritte. Dem entgegen wirken kann man, indem man Versetzungszeichen verwendet. Bei D-Dur beispielsweise wird das f erhöht, damit auch hier zwischen Stufe II und III ein Ganztonschritt entsteht, gleichzeitig erhalten wir dadurch den bei einer Dur-Tonleiter geforderten Halbtonschritt zwischen Stufe III und IV. Die gleiche Korrektur müssen wir ebenfalls beim c vornehmen. Abbildung 06 zeigt die unkorrigiert Tonleiter mit d beginnend, die korrigierte darunter mit entsprechenden Versetzungszeichen.

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Tetrachorde

Teilt man eine Dur-Tonleiter in zwei gleichgroße Teile, erhält man zwei Tonfolgen, welche die gleiche Reihenfolge von Ganz und Halbtonschritten aufweist, nämlich GT-GT-HT. Man nennt diese beiden Hälften Tetrachorde (altgriechisch: tetra = vier). Somit hat man bei einer solchen Zweiteilung der Dur-Tonleiter, eine zusätzliche Kontrolle, ob alle Vorzeichen korrekt gesetzt sind. Abbildung 07 zeigt zwei weitere Beispiele einer Dur-Tonleiter und kennzeichnet die jeweiligen Tetrachorde.

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Auch eine natürliche Moll-Tonleiter lässt sich in zwei Tetrachorde zerlegen, wobei die Halbtonschritte allerdings an anderer Stelle liegen (siehe das Kapitel: Moll-Tonleiter).

Moll-Tonleitern

Eine Molltonleiter kann in drei verschiedenen Versionen auftreten. Man unterscheidet „natürliches“, „harmonisches“ und „melodisches“ Moll.

Natürliches Moll

Beginnt man eine Dur-Tonleiter mit dem 6. Ton, oder auf anderem Wege eine kleine Terz tiefer, gelangt man zu der sogenannten „parallelen“ Moll-Tonleiter. Wenn dabei die Töne nicht verändert werden, spricht man vom „natürlichen Moll“. Abbildung 08 zeigt die C-Dur-Tonleiter und die parallele Tonleiter in a-moll.

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Charakteristisch für eine natürliche Molltonleiter sind die Positionen der Halbtonschritte, die zwischen Stufe II und III sowie zwischen Stufe V und VI liegen, und beim Transponieren in andere Tonarten beibehalten werden müssen. Abbildung 09 zeigt zwei weitere Beispiele.

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Harmonisches Moll

Beendet man eine Dur-Tonleiter mit dem siebten Ton, so tritt Spannung auf, weil man das Gefühl hat, die Skala wurde nicht zu Ende gespielt. Der vorletzte Ton strebt nach einer Auslösung. Der letzte kleine Schritt, nur ein Halbton noch, fehlt. Deshalb nennt man den Ton auf der siebten Stufe auch Leitton.
Eine schöne Anekdote erzählt die Geschichte, dass Wolfgang Amadeus Mozart, im Nebenzimmer von seinem strengen Vater Leopold belauscht, ein Stück oder eine Tonleiter in C-Dur nicht beendete und mit dem zuletzt gespielten h das Zimmer verließ, worauf der Vater an den Flügel trat und das finale c spielte, weil es ihm unerträglich schien, die entstandene Spannung nicht aufzulösen.
Beim natürlichen Moll liegen die Halbtonschritte an anderer Stelle als beim Dur, der letzte Halbtonschritt also nicht zwischen der VII. und VIII. Stufe. Der Leitton fehlt. Es entsteht nicht die gewohnte Spannung. Um das zu ändern, muss die siebte Stufe erhöht werden. Dies geschieht beim harmonischen Moll. Jetzt gibt es wieder einen finalen Halbtonschritt, der die Tonart festigt (Abbildung 10).

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Melodisches Moll

Problematisch beim harmonischen Moll ist der durch die Erhöhung der siebten Stufe entstandene übermäßige Schritt (eine übermäßige Sekund, auch Hiatus-Schritt genannt) zwischen Stufe VI und VII. Um diesen orientalisch klingenden und für unsere Ohren ungewohnten Schritt zu vermeiden, erhöht man beim melodischen Moll deshalb zusätzlich die VI. Stufe. Die Tonleiter besteht jetzt wieder ausschließlich aus Ganz- und Halbtonschritten (Abbildung 11).

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Da die Problematik eines fehlenden Leittons und eines unschönen übermäßigen Schritts, deretwegen es im harmonischen und melodischen Moll Veränderungen gab, in umgekehrter Richtung entfällt, löst man die Erhöhungen in der melodischen Tonleiter beim Abwärtsspiel wieder auf (es erklingt das natürliche Moll). Abbildung 12 zeigt die komplette melodische Moll-Tonleiter auf a.

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Zigeunermoll

Diese Moll-Variante entspricht dem harmonischen Moll mit zusätzlich erhöhter vierter Stufe, so dass sie zwei übermäßige Schritte (Hiatus) enthält (Abbildung 13). Dieser orientalisch anmutende Klang wurde gerne von Franz Liszt in seinen Ungarische Rhapsodien verwendet.

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