Schwarz-weißes Chaos

Als Klaviatur bezeichnet man alle Tasten eines Klaviers. Die Verwendung des Begriffs „Tastatur“ ist hier falsch. Der Anblick der weißen und in 2er und 3er-Gruppen aufgeteilten schwarzen Tasten erscheint uns allen als selbstverständlich.
Aber warum ist eine Klaviatur eigentlich so aufgebaut? Da eine Oktave bei der heute gebräuchlichen gleichschwebend temperierten Stimmung in zwölf gleichgroße Halbtonschritte unterteilt ist, könnte sie im Grunde doch auch so aussehen (siehe folgende Abbildung):
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Eigentlich ja. Ein Vorteil wäre, dass man auch mit sehr kleinen Händen problemlos eine Oktave greifen könnte, bei großen Händen das Anschlagen eines größeren Intervalls ebenfalls leichter fiele. Nachteilig würde sich eine solche Anordnung der Tasten allerdings auf die Orientierung auswirken. Wo finde ich das C? Allenfalls eine farbliche Markierung könnte hier helfen.

Keine Willkür

Um zu verstehen, warum sich folgende Anordnung (siehe folgende Abbildung) durchgesetzt hat, muss man in die Geschichte zurück gehen.

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Zu Beginn gab es gar keine Halbtöne, sondern nur die sogenannten Stammtöne (diatonische Tonleiter), die mit den ersten Buchstaben des Alphabets bezeichnet wurden, und der C-Dur-Tonleiter entsprechen. Die Töne hießen  A B C D E F G, mit C beginnend C D E F G A B. Warum sich später im deutschsprachigen Raum das B in ein H verwandelt hat (im englischsprachigen Raum ist das nicht so), hat auch historische Hintergründe, auf die hier nicht näher eingegangen werden soll, weil ich damit zu weit ausholen würde. Wer tiefer eintauchen möchte, möge nach dem Begriff „Anderssprachige Tonbezeichnungen“ im Internet suchen, wie z.B. bei Wikipedia.

Intervalle berechnen

Diese Stammtöne haben alle ein ganzzahliges Frequenzverhältnis (FV) zueinander. Die Oktave, c-C zum Beispiel, das FV 2:1 (bei Halbierung der Saitenlänge erhält man die doppelte Frequenz), die Terz 5:4, die Quart 4:3, die Quinte 3:2. Diese Verhältnisse kann man experimentell bestimmen (siehe folgendes Video ab Minute 1:30):

Alle weiteren können rechnerisch ermittelt werden, so setzt sich beispielsweise die Septime aus Quint plus Terz zusammen, bedeutet 3:2 x 5:4 = 15:8. Man erhält also folgende Frequenzverhältnisse (siehe Abbildung):

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Vergleicht man nun die Abstände der einzelnen Töne miteinander, indem man das FV des höheren Tons durch das FV des darunterliegenden Ton dividiert, erhält man folgende Frequenzverhältnisse (siehe Abbildung):

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Ersichtlich ist, dass wir als Ergebnis drei verschiedene Werte erhalten, zwei Werte, die größer sind als 1,1 und einer, der niedriger ist. Bei den größeren spricht man von einem großen Ganzton (1,125) und einem kleinen Ganzton (1,111…), bei dem niedrigeren Wert (1,066…) von einem „natürlichen“ Halbton. „Natürlich“ deswegen, weil er nicht künstlich erzeugt, sondern durch die gegebenen Frequenzverhältnisse rein rechnerisch so gegeben ist. Die diatonische Tonleiter enthält also bereits zwei, sogenannte „natürliche“ Halbtöne.

Erst später hat man, um den Tonraum und damit die musikalischen Gestaltungsmöglichkeiten zu erweitern, Zwischentöne eingefügt, indem man die Ganztöne nochmals unterteilte. So entstanden die schwarzen Tasten zwischen den Ganztönen, und so erklärt sich die Aufteilung in 2er und 3er Gruppen.

Dass die Tasten aus anatomischen Gründen so angeordnet wurden, weil die beiden kurzen Finger (Daumen und kleiner Finger) in der F-Lage die weißen, die drei mittleren längeren Finger (also Zeige-, Mittel- und Ringfinger) bequem die etwas nach hinten liegenden schwarzen Tasten greifen können, ist zwar ideal, aber sicher einem glücklichen Zufall geschuldet.

anatomiefinger

Spielt man Stücke in Tonarten mit vielen schwarzen Tasten, so nutzt man dies natürlich aus. Man würde eine Des-Dur-Tonleiter nie mit dem Daumen beginnen zu spielen, sondern beginnt mit dem Zeigefinger.