Brahms’ Rheinreise 1853
Am 26. August 1853 unternahm Johannes Brahms eine einwöchige Rheinreise von Mainz nach Bonn. Naturfreund Brahms unternahm die Reise hauptsächlich zu Fuß, mehr als 300 km in 6 Tagen. Nicht, dass er immer dem Ufer entlang, dem Rheinlauf folgend, seine Wanderung machte, nein, er unternahm auch zahlreiche Abstecher ins Hinterland, in eine heute für Touristen weniger bekannte, reizvolle Landschaft.
Wir wanderten im Jahre 2002 diese Strecke nach, um seine Eindrücke mit den unsrigen zu vergleichen, um festzustellen, welche Sehenswürdigkeiten, die Brahms besehen hatte, heute noch existieren, um nachzuempfinden, welche Gefühle der Komponist beim Erblicken der Naturschönheiten hatte.
Folgen Sie uns auf der Wanderung, die wir photographisch dokumentierten, und lesen Sie, was der Komponist dem Musikdirektor Arnold Wehner dazu schrieb.
“Lieber Herr Wehner!
Eine herrliche Reise habe ich gemacht, viel herrlicher als ich irgend erwarten konnte! Ich will Ihnen
nur flüchtig meine Reiseroute erzählen, da werden Sie sich bei jedem Namen mein Entzücken am
Ort denken können.”
Erforderlich für das Gelingen der Wanderung war eine genaue Reiseplanung, wobei wir uns strikt an Brahms` Aufzeichnungen orientierten. Ein genaues Kartenstudium war enorm wichtig. Die von Brahms beschrittenen Wege sollten, wenn möglich, genau nachvollzogen werden. Es stellte sich jedoch schnell heraus, dass zahlreiche der alten Wege nicht mehr existierten. Wo einst romantische Pfade den Rhein entlang die schöne Wanderung zu einem Erlebnis der Sinne werden ließen, durchziehen heute Schnellstraßen die Naturlandschaft. Doch wo immer es möglich war, blieben wir auf Brahms` Pfaden. Unsere Reise startet in Mainz.
“Ich ging den ersten Tag (d.26 ten Aug.) in Mainz
spazieren u. besah den Dom ( auch innen), das
Denkmal Gutenberg’s u. noch eine sehr alte
Kirche. Es trieb mich zu hastig weiter, als daß
ich mehr besehen konnte.”
Brahms begann also seine Wanderung auf der linken Rheinseite in Mainz, wo er zunächst den wundervollen Dom besichtigte.
In unmittelbarer Nähe des Doms befindet sich das von Bertel Thorwaldsen entworfene und von Charles Crozatier in Paris in Bronze gegossene Standbild Johann Gutenbergs, welches am 14. August des Jahres 1837 feierlich enthüllt wurde.
Mit der “sehr alten Kirche” meint Brahms wahrscheinlich die auf dem höchsten Punkt der Stadt gelegene frühgotische Kirche St. Stephan aus dem frühen 14. Jahrhundert, die wir leider verschlossen vorfanden.
Mit dem Dampfboot oder der Eisenbahn gelangte Brahms in wenigen Minuten auf die andere Rheinseite.
Wir überquerten den Rhein über die Brücke zu Fuß und gelangten so nach Biebrich.
Biebrich bis Geisenheim
“Ich fuhr nach Biebrich, besah den Parck u. ging dann
über Schierstein, Niederwalluf u. Eltville nach Kiderich,
von hier ging ich zum Scharfenstein; dann zurück über
Erbach (beim Marcobrunnen vorbei nach) Hattenheim,
u. Oestrich, von hier besah ich Schloß Vollrath, ging
dann über Mittelheim u. Winkel zum Schloß u. Dorf
Johannesberg [sic], zum Schluß nach Geisenheim,
wo ich die Nacht blieb.”
Das malerisch am Rhein gelegene Lustschloss wurde Anfang des 18. Jahrhunderts unter Karl August von Nassau-Usingen erbaut. Der dahinter liegende Park beheimatet zahlreiche seltene Bäume. Die wunderschöne große Parkanlage bot Brahms einen anmutigen Spaziergang. Die im gotischen Stil gehaltene Burgruine wurde 1806 von C.F. Goetz errichtet.
Von Biebrich aus wanderte Brahms zunächst zu dem alten Dorf Schierstein und von dort zu dem bereits im Jahre 770 urkundlich erwähnten Ort Niederwalluff, mit dem der weinreiche Rheingau beginnt. Es folgen Eltville, damals einzige Stadt im Rheingau, und Kiederich. Auf einem der berühmtesten Weinberge des Rheingaus ragt auf dem Gräfenberg der hohe Turm der Burg Scharfenstein, Ende des 12. Jahrhunderts erbaut, 1632 und 1682 von den Schweden zerstört. Von hier aus wandte sich Brahms wieder nach Eltville und wanderte über Erbach nach Hattenheim, wobei er etwa auf halbem Wege am Marcobrunnen vorbeikam. Schließlich kam er nach Oestrich mit seinem berühmten, im Jahre 1652 erbauten, Rheinkran. Landeinwärts laufend erreichte der Komponist nach kurzer Zeit das sehr gut erhaltene Schloss Vollrads, im Jahre 1362 von Friedrich Greifenklau von Folraz erbaut und zur Zeit Brahms` noch im Besitz der Familie.
Weiter ging es, zum Rhein zurückkehrend, nach Mittelheim mit seiner romanischen Basilika St. Aegidius, und sich wieder landeinwärts wendend nach Johannisberg, welches er fälschlicherweise Johannesberg nennt. In Geisenheim übernachtete er.
Geisenheim bis Bacharach
“Den 2 ten Tag ging ich (nachdem ich natürlich die Kirche u. das Schönbornsche Haus besehen
hatte, [)] über Eibingen nach Rüdesheim, besah die Brömserburg u. Bosenburg, …”
Über Eibingen gelangte Brahms also nach Rüdesheim, wo sich am unteren Ende des Ortes die Brömserburg erhebt. Die Burg wurde im 11. und 12. Jahrhundert von Rüdesheimer Rittern auf römischen Fundamenten errichtet. Bereits seit dem 16. Jahrhundert ist sie Ruine. Hinter der Brömserburg erhebt sich ein obelisker Turm, der zu Brahms` Zeit dem Grafen Schönborn gehörte, die Boosenburg.
“…ging den Niederwald hinauf zum Tempel, zum Jagdschloß u. zur Rössel, …”
Brahms erreichte nach etwa einer Stunde beim Aufstieg zum
Niederwald den runden Säulen-Tempel mit Kuppelbedachung.
Wir fanden nur noch Reste der Säulen vor. Weiter ging es
durch den Buchenwald, bis wir nach etwa 20 Minuten das
1764 von Maximilian von Ostein erbaute Jagdschloss erreichten.
Hier wurde 1948 unter Adenauer unser deutsches Grundgesetz
erarbeitet. Mitte der 60 er Jahre wurde das Schloss zu einem
Hotel umgebaut.
Das sogenannte “Rossel” liegt etwa 15 Minuten vom Jagdschloss entfernt auf der höchsten Kuppe des westlichen Abhangs. Es ist eine künstlich angelegte Ruine, damals bemerkenswert wegen eines achtfachen Echos.
Von hier hat man eine bemerkenswerte Aussicht auf den Rhein und die Nahe.
“…dann nach Asmannshausen, wo ich
mich übersetzen ließ um den [sic]
Rheinstein zu besehen.”
Das rechte Rheinufer bot von hier aus wenig Sehenswertes. Deshalb ließ sich der Komponist ans andere Ufer bringen.
“Bei der alten Clemens-Kirche, Schloß Reichenstein, Trechtingshausen u. Sooneck, durch Nieder-Heimbach u. Rheindiebach kam ich dann zu meiner zweiten Station, zu dem wundervollen Bacharach.”
Am Fuße der Burg steht, direkt am Rhein gelegen, die Clemenskapelle, eine spätromanische Pfeilerbasilika.
Auf einer nahegelegenen Anhöhe erhebt sich das Schloss
Reichenstein. Hinter dem wundervollen Weinort
Trechtingshausen erhebt sich die weithin sichtbare Burg
Sooneck. Das Dorf Niederheimbach wird von der Burg
Hohneck oder der “Heimburg” überragt.
“Denselben Abend noch stieg ich zur Stahleck hinauf u. ging zur Werners-Kirche etc.”
Wie Brahms übernachteten auch wir in dem romantischen Bacharach, stiegen jedoch erst am nächsten Tag zur Burg Stahleck auf.
Am nächsten Tag pausierten wir und unternahmen eine gemütliche Schiffstour rheinabwärts.
Lorchhausen bis St. Goarshausen
“Den folgenden Tag ließ ich mich übersetzen nach <St. Goars> Lorchhausen um das Sauerthal, Burg Sickingen, das Wisperthal u. die Cammerberger Mühle zu besuchen.”
Nach der Überquerung des Rheins mit der Fähre beginnt eine sehr anstrengende Wanderung durch das Sauer- und Wispertal. Wir starten in Lorchhausen. An der Mündung der Wisper in den Rhein hat sich Lorch angesiedelt. In Lorchhausen endet der Rheingau. Östlich mündet das Sauertal in das Wispertal.
Wandert man das Sauertal aufwärts, so gelangt man nach etwa einer Stunde zur “Sauerburg”, die Feste Sickingen, heute nur noch eine Ruine. Im wildromantischen Wispertal liegt die Kammerberger Mühle.
“Das schlechte Wetter erlaubte mir nicht, die herrliche Tour zu verlängern.
Ich mußte zurück u. über Rannsel, Weisel u. Caub nach St. Goarshausen.”
Wir hatten gutes Wetter. Der Weg durch den Wald schien unendlich. Ab jeglicher Zivilisation setzten wir unseren Weg fort. Kein Auto, kein Lärm, einfach nichts störte unseren Fußweg, so dass wir uns in eine andere Zeit zurückversetzt fühlen mussten.
Über weite Felder mit herrlichem Blick über die Täler gelangten wir nach Weisel. Wir wandten uns zurück an den Rhein und gelangten über Kaub nach St. Goarshausen.
Brahms übernachtete in St. Goarshausen im Hotel “Der Adler”. Fälschlicherweise nahmen auch wir Quartier in einem gleichnamigen Hotel, direkt am Rhein gelegen. Später jedoch ergaben unsere Nachforschungen, dass Brahms wohl hier übernachtet haben muss: in der ältesten Weinstube am Ort, “Zum roten Kopf”, ehemals “Zum Reichsadler”.
St. Goarshausen bis Capellen
“Am 4 ten Tag besuchte ich das Schweizerthal, Petersdorf, Welmich,…”
Johannes Brahms durchwanderte am 4.Tag das sich bis zur Burg “Katz” hinziehende, sehr romantische Schweizertal. Er erreichte schnell das oberhalb von St. Goarshausen gelegene Dorf Patersberg, das er irrtümlich “Petersdorf” nennt.
Das Dorf Wellmich war des Komponisten nächste Station.
“…erstieg die Maus, ging durch Ehrenthal, Kestert, Bornhofen, Camp, Osterspey etc. nach Braubach.”
Oberhalb des Dorfes befindet sich die Thurnburg oder Deurenburg, die die Grafen von Katzenelnbogen im Gegensatz zu ihrer Burg “Katz” ironisch die “Maus” nannten, welche bald von der Katz gefressen werden soll. Der Aufstieg zur “Maus” ist sehr beschwerlich; belohnt wird man aber mit einer herrlichen Aussicht, die man heute jedoch nur genießen darf, wenn man einen hohen Eintrittspreis entrichtet hat. Diese Information wird bedenklicherweise auf dem Schild am Fuße des Berges verschwiegen.
Weiter gelangt man durch Ehrental nach Kestert. Wir durchwandern die nächsten Dörfer: Bornhofen, Kamp, Osterspai und Braubach.
“Nachdem ich die [sic] mir die Marksburg hatte zeigen lassen, fuhr ich über den Rhein nach Rhense, in Capellen blieb ich die Nacht.”
Oberhalb von Braubach finden wir die Marksburg, die einzige unzerstörte Feste am Rhein. Der Tag geht in dem Dörfchen Capellen zuende.
Capellen bis Neuwied
“Mit dem herrlichen Stolzenfels, (hätte ich bald vergessen!) begann ich den nächsten Tag,…”
Auch wir starteten in den nächsten Tag mit einer Besichtigung des linksrheinisch gelegenen Schlosses, das von 1836 bis 1842 wieder aufgebaut wurde. Eine wunderschöne Anlage, in der auch heute regelmäßig Konzerte und Lesungen stattfinden. Wir besichtigten auch die Innenräume.
“…über den sogenannten Kühlkopf u. den Karthäuser-Berg kam ich nach Koblenz.”
Von der feste Ehrenbreitstein aus hat man den besten Blick auf den Zusammenfluss von Mosel und Rhein. Vom schönen Wetter verwöhnt genossen wir die herrliche Aussicht.
“Die Kastor-Kirche, den Brunnen, den Kirchhof, das Mainzer-Thor u. das weiße Roß habe ich besucht.”
Die Kirche St. Castor, eine romanische Basilika, steht auf der durch Mosel und Rhein gebildeten Landspitze. Genau gegenüber der Kirche finden wir den Castor- Brunnen, an dem sich wahrscheinlich schon Brahms gelabt haben mag. Das Mainzer Tor existiert seit kurzer Zeit leider nicht mehr, es musste einer Schnellstraße weichen.
“Ueber Vallendar, Bendorf, Mühlhofen und Engers kam ich nach Neuwied, wo ich Hoffmann von Fallersleben, den theuren Dichter u. Patrioten, besuchte u. von ihm die freundlichste Aufnahme fand. Seine liebenswürdige Gattin ist ein wahres Ideal der Frau eines Dichters.”
Nächste Station war Vallendar, das uns zu einem netten Spaziergang rund um die Kirche einlud. Wir durchquerten schnell die weniger interessanten Dörfer Bendorf und Engers und kamen schließlich nach Neuwied, wo wir uns sogleich auf die Suche machten, das Haus von Hoffmann von Fallersleben zu finden. Bei der Stadtverwaltung bekamen wir keine Auskunft, jedoch den Tipp, im Kreismuseum Neuwied, am Raiffeisenplatz gelegen, zu fragen. Wir hatten Erfolg, denn dort erklärte man uns, dass das Haus des Dichters einem Neubau weichen musste, wo heute ein Aldi-Markt beherbergt ist. Am neuen Gebäude fanden wir erstaunlicherweise eine Gedenktafel.
Das Schloss in Neuwied bildete den Abschluss des Tages. Brahms verbrachte hier zwei Nächte. Am nächsten Tag unternahmen der Dichter und der Komponist einen Ausflug nach Brohl und besichtigten das Schloss Rheineck. Am 1. September 1853 setzte er seine Reise fort. Wir blieben ihm auf der Spur.
Neuwied bis Bonn
“Am nächsten Tag jedoch marschierte ich über Andernach, Eich, Nickenich, um den Laacher See, zurück über Wassenach, Tönnigstein [sic] , Brohl, Breissig nach Sinzig.”
Der Komponist ging nun eiligeren Schrittes voran. Das schöne Andernach hat er nicht besehen; ihn zog es vielmehr an den Laacher See mit seiner berühmten Abtei.
Er umrundete den See und nahm im heute nicht mehr existierenden Gasthaus im Garten der Abtei ein Mahl ein. Nach dem Essen zog es ihn weiter. Über Wassenach, Tönnisstein, Brohl und Breisig gelangte er nach Sinzig.
“Die Partie ins Ahrtal wurde mir heute durch das furchtbare Wetter vereitelt, ich mußte wieder umkehren, nach remagen gehen, u. fuhr dann nach Mehlem,…”
In Mehlem nahmen wir unser Mahl ein. Hier machte Brahms wieder Station. Er fand freundliche Aufnahme bei der Familie des Bankiers Wilhelm Ludwig Deichmann im Gut Mehlemer Aue. In diesem Haus gingen Musiker, Maler und Dichter ein und aus. Mit den drei Söhnen Deichmanns unternahm er noch eine Tour ins Ahrtaal, erneut zum Laacher See und durchs Lahntal, lernt bei seinem Aufenthalt die Werke Robert Schumanns genauer kennen, um ihm schließlich am 30. September 1853 in Düsseldorf seine Aufwartung zu machen.
Der Komponist gelangt also so in den nächsten Tagen über Bonn nach Düsseldorf. Den Abschluss unserer Reise bot ein Besuch des Sterbehauses Robert Schumanns in Bonn-Endenich, wo wir, von unserer interessanten Reise berichtend, freudig empfangen wurden.
Sterbehaus Schumanns in Bonn Endenich
Schumanns Klavier mit einer von Clara selbstgestickten Decke, die sie einst dem befreundeten Violinisten Joseph Joachim schenkte
An die Tür des Hauses in der Düsseldorfer Bilkerstraße klopfte Johannes Brahms am 30. September 1853, um sein Vorbild Robert Schumann zu besuchen. Dieses Datum wird fälschlicherweise oft als Tag der Begegnung angegeben. Da nur die älteste Tochter Marie zu Hause war, traf Brahms die Eheleute Schumann aber erst am folgenden Tag. Es sollte ein einschneidendes Erlebnis in seinem Leben werden, verbunden unter anderem mit einer lebenslangen Freundschaft zu Clara Schumann, die ihm so häufig Quell seiner Inspiration war.
Auch wenn unsere Reise nun zu Ende geht, die von Johannes Brahms noch lange nicht.
Google Maps
Folgen Sie Brahms auf seiner Wanderung entlang des Rheins mittels Google Maps. Ich habe die einzelnen Stationen in die Karten eingetragen.