Letzte Station

Die ersten Auftritte der zwölfjährigen Clara Wieck in Frankfurt datieren aus dem Dezember des Jahres 1831. Die Empfehlungen von Johann Wolfgang von Goethe, dem die junge Künstlerin zuvor in Weimar hatte vorspielen dürfen, und von Louis Spohr, dem in Kassel lebenden und tätigen Komponisten und Dirigenten, öffneten ihr und ihrem Vater die Türen der vornehmen Frankfurter Gesellschaft. Sie befanden sich auf einer ersten großen Konzertreise nach Paris (25.09.1831 – 01.05.1832) und machten dabei auf ihrer Hin- und Rückfahrt auch in einigen deutschen Städten Station, darunter auch in Frankfurt. Nach einigen Auftritten in kleinen musikalischen Salons konnte Clara schließlich nach zähen Verhandlungen ihres Vaters im „Museum“ (heute: Frankfurter Museums-Gesellschaft e. V.) spielen.

Im Laufe ihres Lebens trat Clara Schumann mehrfach in Frankfurt auf. So kam sie auch im November 1854, als sich Robert nach seinem Selbstmordversuch in der Bonn-Endenicher Heilanstalt befand, nach Frankfurt. Sie musste ihre Konzerttätigkeit weiterführen, da sie von nun an alleine für die Familie zu sorgen hatte. Zudem entstanden bis zu seinem Tod im Jahre 1856 nicht zu unterschätzende Kosten für Roberts Unterbringung in der Heilanstalt. Die Auftritte am 3. und 4. November jedoch blieben Clara nicht in bester Erinnerung, versuchte man doch die Konzerte seitens des Theaterdirektors Johann Hoffmann zu vereiteln. Dennoch kamen sie zustande und waren dank ihrer Gönner und zahlreichen Kunstfreunden von großem Erfolg gekrönt. Auch die in der „Niederrheinischen Musikzeitung“ erschienene, eher vernichtende Rezension eines Anton Schindler, der Beethoven in seinen letzten Lebensjahren als Sekretär beiseitegestanden hatte, konnte ihren Erfolg schlussendlich nicht schmälern.

Clara Schumann feierte Erfolge als Pianistin in ganz Europa und genoss dies augenscheinlich und schlug daher Angebote für feste Anstellungen bei Hofe oder an Konservatorien über viele Jahre hinweg stets aus. Doch ihr war natürlich bewusst, dass sie die anstrengenden Konzertreisen nicht bis ins hohe Alter durchführen kann. So nahm sie das Angebot von Joachim Raff, des ersten Direktors des im Jahre 1878 in Frankfurt neu gegründeten „Hoch’schen Konservatoriums“, schließlich an. Sie fand dort eine Anstellung als „Erste Klavierlehrerin“ und zog in die Mainmetropole. Die Entscheidung, sich in Frankfurt niederzulassen, war ihrer eigenen Aussage nach auch darin begründet, dass sich die Stadt im Zentrum Deutschlands befand, was sich als günstig erweisen könnte, sollte sie doch noch zu kleineren Konzertreisen aufbrechen. Clara Schumann war rastlos und es seit ihrer Kindheit gewohnt, unterwegs zu sein. Dass man die berühmte Künstlerin unbedingt am Konservatorium in Frankfurt verpflichtet sehen wollte, lässt sich auch daran erkennen, welche Privilegien ihr zugestanden wurden. Sie verpflichtete sich zu lediglich anderthalb Stunden Unterricht täglich und erhielt vier Monate Urlaub im Jahr, zudem die Freiheit, im Winter kürzere Konzertreisen unternehmen zu dürfen, ohne dafür Urlaub nehmen zu müssen. Ein Gehalt von zweitausend Talern wurde verlangt. Außerdem sollten die Unterrichtsstunden nicht in den Räumen der Hochschule, sondern in ihrem Haus abgehalten werden können.

Dieses Haus in der Myliusstraße, welches Clara Schumann später sogar käuflich erwarb, befand sich im Frankfurter Westend und ist noch heute erhalten. Ich besuchte es im Jahre 2019 zum 200. Geburtstag von Clara Schumann.

Damals am ruhigen Stadtrand gelegen, entsprach es ihren Ansprüchen: Es war geräumig, hatte einen schönen Garten. Die Entfernungen zur Stadt, aber auch in die grüne Umgebung waren gering. Mit in diesem Haus wohnten auch ihre Töchter und ständigen Begleiterinnen Marie und Eugenie, die beide nacheinander ebenfalls eine Anstellung am Konservatorium erhielten, und ihr Sohn Felix, der aber am 16. Februar 1879 in den Armen seine Schwester Marie starb. Zudem noch Eugenies Lebensgefährtin Marie Fillunger. Es handelte sich also nach Felix‘ Tod um einen reinen Frauenhaushalt. In ihrem Domizil in der Myliusstraße erteilte Clara Schumann neben ihrer offiziellen Tätigkeit als Lehrerin des Konservatoriums auch Privatunterricht. Bis zu ihrem Tod stand dort unter anderem ein Flügel der Firma Grotrian Steinweg Nachfolger, auf dem sie gespielt und sicherlich auch unterrichtet hatte. Das Wohnhaus in der Myliusstraße entwickelte sich mit der Zeit auch zum Treffpunkt zahlreicher Kollegen wie Johannes Brahms und der Violinvirtuose Joseph Joachim, mit denen Clara zusammen musizierte. Aber auch andere Freunde, Bekannte und Honoratioren der Stadt trafen sich bei ihr, und Clara unterhielt ihre Gäste nicht selten mit ihrem Spiel am Flügel. Einladungskarten zu diesen Veranstaltungen sind erhalten. Der neue Lebensmittelpunkt wurde für Clara noch attraktiver, als auch ihre Tochter Elise samt ihrer Familie in ein nahegelegenes Gut zog und sich somit ein weiteres familiäres Zusammensein, welches sich die Pianistin immer gewünscht hatte und zuvor nur zeitweise in ihrem Sommerhäuschen in Baden Baden stattfand, ergab.

Zahlreiche, meist weibliche Pianistinnen bildete Clara Schumann in Frankfurt aus (siehe Schüler/-innen), die teilweise später ebenfalls eine beachtliche Karriere machten. Dazu zählen beispielsweise Ilona Eibenschütz und Fanny Davies. Die Lehrerin wurde von ihren Schülern und Schülerinnen sehr verehrt, wenngleich Frau Schumann eine sehr strenge Pädagogin war. Scherzhaft bezeichneten die jungen Klaviervirtuosen und -virtuosinnen die Myliusstraße als „Thränen- und Seufzerallee“. Erhalten geblieben ist Claras „Frankfurter Vorspielbüchlein“, in dem sie ausführlich Protokoll über die Fortschritte ihrer Schüler und Schülerinnen führte.

In ihrem Frankfurter Haus starb Clara Schumann am 20. Mai 1896. Heute ist es in Privatbesitz und kann leider nicht besichtigt werden. Lediglich eine kleine Gedenktafel erinnert heute noch an die berühmte Bewohnerin.

Gedenktafel am Haus Clara Schumanns in Frankfurt

Interessant ist Frankfurt auch wegen einer anderen Begebenheit, die sich schicksalhaft auswirkte. Claras späterer Ehemann Robert Schumann reiste zu Ostern des Jahres 1830 in die Stadt am Main, um den Geigenvirtuosen Niccolò Paganini zu hören. Dieses Konzert beeindruckte den jungen Jura-Studenten Schumann so sehr, dass er sein Studium abbrach und sich fortan ganz der Musik widmete. Er wollte ein „Paganini des Klaviers“ werden. Diese Stadt ist daher für beide Ehepartner  und beider Vermächtnis von Bedeutung.